Reinigungsvalidierung, Henry Gesetz und Diffusion
im Zusammenhang mit luftgetragener, molekularer Kontamination

Cleaning Validation, Henry´s Law and Diffusion
with special regard to Airborne Molecular Contamination (AMC)

Von Wolfgang Woiwode

Schlüsselworte: Reinigungsvalidierung, Pharmaka, Medizinprodukte, sauber laut Sichtprüfung, luftgetragene molekulare Kontamination, luftgetragene partikuläre Kontamination, Gesetze nach Fick, Dalton und Henry

Key words: cleaning validation, pharmaceuticals, medical devices, visually clean, airborne molecular contamination (AMC), airborne particulate contamination (APC), Fick´s, Dalton´s, and Henry´s laws

In einer vorausgegangenen Studie hatten wir in einem einfachen Experiment gezeigt, dass der Kohlenstoffgehalt von Wasser (Total Organic Carbon, TOC), das in Kontakt mit Luft steht, zeitabhängig ansteigt [1]. Wir schlossen daraus, dass luftgetragene, molekulare organische Verbindungen in das Wasser hineindiffundieren [1]. Relevanz für die Reinigungsvalidierung ist in der Weise gegeben, so unsere damalige Folgerung, dass wässrige Spüllösungen nach Luftkontakt den TOC-Grenzwert für gereinigtes Wasser nicht mehr zwingend erfüllen müssen.

Dieser Sachverhalt ist physikalisch erwartungsgemäß und Gegenstand der Gesetze von Fick, Dalton und Henry. Vereinfacht dargestellt: Mobile Verbindungen diffundieren in Medien und zwischen Medien wie Luft und Wasser bis zu einer gleichmäßigen Verteilung (Fick´sche Gesetze). Im abgeschlossenen System, z.B. in einem Luftkompartiment,  ist der Gesamtdruck die Summe der Partialdrucke (Dalton´sche Gesetz). Gibt es eine Wasseroberfläche im Luftkompartiment, diffundieren die gasförmigen, molekularen Verbindungen entsprechend ihrem Partialdruck in das Wasser hinein (Henry´sche Gesetz).

Soweit die Physik mit ihren Modellen z.B. der „idealen Gase“. Von der Betrachtungsweise her ungewohnt könnte es zunächst sein, dass diese Gesetze für jede luftgetragene, molekulare organische Verbindung, so auch verdampfte, oder sublimierte Organika, Gültigkeit haben. Andererseits aber beinhaltete die vorausgegangene Studie [1] dafür bereits eine erste experimentell Bestätigung. Wir haben jetzt ein wiederum überschaubares, weiteres Experiment mit lediglich Kampfer, Wasser und Luft in einem abgeschlossenen Kompartiment durchgeführt: Unsere „Mottenkiste“ aus Metall hat die Abmessungen 700 mm x 360 mm x 380 mm (L x B x H), das Gesamtvolumen beträgt rund 97 Liter. Mittig in der Kiste wurde 1 g Kampfer als Feststoff, Schmelzpunkt 179,75 °C [2] in einem Becherglas vorgelegt. Symmetrisch dazu und wiederum mittig wurden 2 Bechergläser mit je 50 mL Reinstwasser aufgestellt. Seitlich davon wurden je 2 Edelstahlschalen von je 250 cm2, trockener Oberfläche angeordnet.

Abbildung 1: Versuchsaufbau vor und nach Verschließen des Kompartiments

 

Unsere Fragestellungen, nach angemessener Standzeit experimentell zu überprüfen, waren wie folgt:

–        Ist Kampfer nach Sublimation und Diffusion in der Luft nachweisbar?

–        Findet Diffusion in das Medium Wasser statt?

–        Werden die Edelstahloberflächen mit Kampfer beaufschlagt?

Wir beließen die mit ihrem Deckel geschlossene Kiste und damit den experimentellen Aufbau im abgeschlossenen Luftkompartiment 14 Tage bei Raumtemperatur. Bei erster Öffnung zogen wir 1 mL der Innenluft auf eine gasdichte Spritze und prüften nach Direktinjektion gaschromatographisch auf Kampfer. Das Wasser aus den beiden Bechergläsern untersuchten wir getrennt auf den Gesamtkohlenstoffgehalt und zusätzlich UV-spektralphotometrisch auf Kampfer. Die Oberflächen der Edelstahlschalen spülten wir für die UV-spektralphotometrische Untersuchung auf Kampfer mit Methanol. Die Ergebnisse waren wie folgt:

  • Kampfer war als luftgetragene, molekulare, organische Verbindung gaschromatographisch in dem abgeschlossenen Luftkompartiment nachweisbar;
  • Kampfer wurde UV-spektralphotomretrisch im Wasser nachgewiesen;
  •  der gemessenen TOC-Gehalt in den beiden Wasserproben wurde übereinstimmend mit 400 ppm und 399 ppm gefunden;
  • Kampfer war UV-spurenanalytisch auf den Edelstahloberflächen nicht nachweisbar.

Eine erste Interpretation ist wie folgt:

  • Kampfer sublimiert erwartungsgemäß bei Raumtemperatur und wird im Luftkompartiment gleichmäßig verteilt zum luftgetragenen, molekularen organischen Gas (Fick´sche Gesetz).
  • Dem Henry´schen Gesetz folgend diffundiert molekularer und damit gasförmiger Kampfer in das Wasser hinein.
  • Die luftgetragenen Kampfermoleküle können nicht in das Metallgitter der Edelstahlschalen hineindiffundieren und durch Fehlstellen des Gitters „wandern“ wie z.B. Ionen nach dem Henry´schen Gesetz.
  • Die Reaktivität der Oberflächen und die weiteren thermodynamischen Randbedingungen des Versuchs führten in diesem Experiment nicht zu einer Resublimation von gasförmigem Kampfer, oder Solidifikation von UV-aktiven Abbau- und Reaktionsprodukten auf den Edelstahloberflächen.

Soweit die Physik mit erwartungsgemäßen Ergebnissen auch hier. Wie ist jetzt die Relevanz dieses überschaubaren Experiments für die Reinigungsvalidierung? Aus unserer Sicht sind diese Schlussfolgerungen zulässig:

Feststoffe sublimieren in Abhängigkeit von ihrem Dampfdruck und werden aus dem Blickwinkel der Reinigungsvalidierung zu luftgetragenen, molekularen Kontaminanten (airborne molecular contamination, AMC).
Diffusion gasförmiger, molekularer Stoffe, darunter auch organischer Kontaminanten, findet grundsätzlich in der Luft und in die an die Luft angrenzenden Medien wie Wasser und Feststoffe statt. Stoffe und Organik werden so zu luftgetragenen, molekularen Kontaminanten, auch wenn sie entfernt gelagert werden.
Wird gereinigtes Wasser für Spülungen verwendet, steigt dessen Kohlenstoffgehalt durch Diffusion der luftgetragenen, molekularen, organischen Kontaminanten  an. Die Überschreitung des Grenzwerts von 500 µg C/L ist dann nur noch abhängig von der Dauer des Luftkontakts und von der Größe der Wasseroberfläche im Luftkontakt.
Wird gereinigtes Wasser für Spülungen verwendet, steigt dessen Leitfähigkeit durch Diffusion von Kohlendioxid an. Die Überschreitung des Grenzwerts von 4,3 µS/cm bei 25 °C durch das Folgeprodukt Kohlensäure ist abhängig von der Dauer des Luftkontakts und der Dimension der Wasseroberfläche im Luftkontakt. Wir führen dies als Analogschluss, den wir an anderer Stelle experimentell bewiesen haben, der Vollständigkeit wegen hier an.
Resublimation von gasförmigem Kampfer auf den Edelstahloberflächen wurde im untersuchten Beispiel nach 14 Tagen bei Raumtemperatur nicht gefunden.
Der Befund nach 5. schließt nicht aus, dass Folgereaktionen über die reaktiven Oberflächen, Kontaminanten und gasförmiges Wasser („Luftfeuchtigkeit“) eingeleitet werden und so die Bildung von Belägen mit weiterer Solidifikation einleiten.
Der Befund nach 5. schließt nicht aus, dass Temperaturunterschiede die Bildung von Belägen („Beaufschlagungen“) durch Kondensation und Solidifikation einleiten, wobei auch kondensiertes Wasser mit den bewiesenen Phasenübergängen nach dem Henry´schen Gesetz als Medium und „Vehikel“ fungieren könnte.
Die hier genannten Zusammenhänge und Überlegungen können zur Begründung von Erwartungswerten und  Akzeptanzkriterien [3] herangezogen werden, und weiterhin auch zur Festlegung der Verwendbarkeitsdauer gereinigter und getrockneter Ausrüstungen z.B. aus Edelstahl. Als Einschränkung ist anzuführen, dass im Herstellungsbetrieb neben der luftgetragenen, molekularen Kontamination immer auch die luftgetragene, partikuläre Kontamination zu berücksichtigen ist. Deren Relevanz ist durch den Massentransport eher noch größer, als die der luftgetragenen, molekularen Kontamination.

Mit dem hier beschriebenen, einfachen Experiment wurden die Phasenübergänge

Festphase –> Gasphase –> Wasserphase

am Beispiel von Kampfer erwartungsgemäß belegt. Relevanz für die Integrität der Formulierungen und der Oberflächen von Ausrüstungen jeweils mit Luftkontakt im Pharmabetrieb ist insofern gegeben, dass mindestens einige Hundert bekannte Pharmaeinsatzstoffe und einige Tausend weitere Organika molekular und luftgetragen potentielle Kontaminanten der weiteren Produkte sind. Die  Folgereaktionen der luftgetragenen Kontaminanten schließlich in der Luft, mit Luftsauerstoff, mit Wassermolekülen, metallkatalysiert auf Oberflächen und schließlich noch in Kontakt mit Partikeln dürften von der Zahl her unüberschaubar sein. Es ist beruhigend, dass all dies für die Entwicklung der Pharmaproduktion bisher keine entscheidende Einschränkung darstellte. Kontaminanten und durch Folgereaktionen entstandene, weitere Kontaminanten liegen in vielen Fällen unter den Wahrnehmungs- und Nachweismöglichkeiten. In Ausnahmefällen haben jedoch bereits Kontaminanten, die durch Diffusion in ein Produkt gelangten, Reklamationen organoleptischer Art bewirkt, ohne dass eine direkte analytische Nachweismöglichkeit gegeben war. Und von einer Vorstellung sollte gründlich Abstand genommen werden: Dass Luft und gereinigte Oberflächen „sauber“ im Sinne von „frei von Fremdstoffen“ sind.

Weitere Bezüge:

  1. Es liegt was in der Luft – der „ubiquitäre“ TOC-Beitrag aus der Umgebungsluft
  2. The Merck Index, Tenth Edition, Merck & Co., Inc. 1983
  3. Akzeptanzkriterien in der Reinigungsvalidierung, TECHPharm GmbH, 2005
  4. Visually clean – zur Sichtprüfung in der Reinigungsvalidierung
  5. Seminargespenster Reinigungsvalidierung

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