Ich stutzte. Waren das wirklich meine neuen Turnschuhe, die ich da gerade anzog? Zur Vorgeschichte: Meist habe ich bis zu 3 Paar Turnschuhe im Bestand, was mich aus meiner Sicht faktisch in Seelenverwandtschaft zum ehemaligen Außenminister rückt. Die größte Wertschätzung gilt dabei, nein, nicht dem ehemalige Außenminister, sondern den jeweils neuen Turnschuhen, meist etwas moderner, bunter, und komfortabler als die zweit- und drittneuen. So kann ich immer auswählen, an einem Regentag z.B. die zweitneuen. An jenem Tag aber geschah es, ich konnte die „neuen“ Turnschuhe nicht mehr von den zweitneuen unterscheiden, um ehrlich zu sein, sie waren zu diesem Zeitpunkt tatsächlich etwas unansehnlicher, ramponierter, verbeulter! Dieser Sachverhalt beschäftigte mich sehr. Um so schärfer beobachtete ich. Es gab tatsächlich Hinweise, dass aus meiner neuen Zahnbürste eine alte Zahnbürste geworden war, weitborstiger, festzustellen durch einfachen Vergleich mit der aus dem Reisegepäck, die ich tatsächlich lange vor der neuen Zahnbürste gekauft hatte. Einmal aufmerksam geworden, gab es eine Fülle weiterer Beispiele: Aus dem neuen Auto wird in Frist von Tagen ein altes Auto, etwas verbeulter, wobei das mit dem Garagentor zuletzt nun wirklich nicht hätte sein müssen. War ich hier einem Naturgesetz auf der Spur? Der Relativitätstheorie des Alterns? Die zunächst unbemerkelte, Verzeihung, unbemerkte Umkehr stetiger Alterungsprozesse, die Allen bekannt sind? Und so ging es nämlich gerade weiter: aus einer neuen Nachricht wird eine alte Nachricht, aus neuen Socken alte Socken, aus einer neuen Erkenntnis eine alte Erkenntnis, aus einer neuen Freundin eine alte Freundin. Einmal bei diesem Gedanken angekommen, begann ich, mich immer weiter aus der gedanklichen Nähe zum ehemaligen Außenminister zu entfernen, um zu den großen Philosophen des letzten Jahrhunderts und der Neuzeit aufzuschließen. Dann allerdings das schockierende Schlüsselerlebnis: Ich kaute gerade an einer Semmel, selbstredend an einer über Nacht jetzt zweitneu gewordenen Semmel, band mir – welche waren es nun? – meine Turnschuhe zu, als mich ein Gedanke zutiefst traf: Was, wenn aus mir als neuem Mann, jetzt, und noch dazu von mir unbemerkt, ein alter Mann geworden ist? Ich war so betroffen, dass ich schnurstracks die Nähe der großen Philosophen verließ, auf dem Weg nach unten praktisch am ehemaligen Außenminister vorbeieilte, diesmal ohne Turnschuhe, und beschloss, mich einfacheren Fragen, wie denen des Ballspiels zuzuwenden. Um hier gleich das Paradoxon anzugehen: Kann aus einem alten Weltmeister, der noch dazu ziemlich alt aussieht, ein neuer Weltmeister werden? Halt, auch dazu gleich eine Fülle neuer Erkenntnisse: Kann aus einem ehemaligen Außenminister ein neuer Außenminister werden, aus einem alten Rentner – dank des neuen Arbeitsministers – ein neuer Arbeitnehmer? Bahnbrechende Gedanken, ich musste mich zwingen, Entspannung zu suchen. Da die Turnschuhe nun endlich zugebunden waren, beschloss ich zu Laufen. Macht alleine keinen Spaß, dann rufe ich doch einfach meine neue Freundin an, ob sie mitmacht. Verdammt, die Nummer, die Nummer? Macht nichts, ich rufe einfach die alte Freundin an, vielleicht läuft sie noch, und will neu.

 

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